Blog

Koblenz Crit Haydn/Bartok/Kodaly

MIT EINEM SCHOTTEN
AUF UNGARISCHEN PFADEN

Er ist emsig, steht in seiner ersten Saison als neuer Chefdirigent der Rheinischen Philharmonie in rund zwei Dritteln aller Konzerte am Pult, auch beim ersten Orchesterkonzert im Görreshaus: Garry Walker, vor zwei Jahren unter mehr als 100 Bewerbern als Nachfolger Daniel Raiskins gekürt. Zum Einstieg wandert der Naturfreund Walker mit dem Staatsorchester nicht auf schottischen, sondern auf ungarischen Pfaden, unter dem Motto „Eljen a Magyar“, „Hoch lebe der Ungar“, entlehnt einer Schnell-Polka von Johann Strauß.

Die steht nicht auf dem Programm, dafür ungarisch Imprägniertes von Zoltán Kodály und Béla Bartók. (…) Die durch eine Haydn-Sinfonie gewürzte Mischung entspricht Walkers Konzept, dem Koblenzer Publikum erst einmal „a well-balance diet“, eine bekömmlich ausbalancierte Kost vorzusetzen. Schon bei Kodálys „Ungarischem Rondo“ (…) wird klar, dass diese Bekömmlichkeit keinesfalls Glätte meint. Da ist ein Ganzkörperdirigent am Werk, der, so Stimmen aus dem Orchester, zwar menschlich angenehm unautoritär und uneitel ist, musikalisch aber konsequent arbeitet. Der in Dynamik und Tempo auf Kontrast setzt, die typischen Synkopierungen und Punktierungen der ungarischen Volksmusik lustvoll mit dem Orchester ausreizt. (…)

Kodálys Kindheitserinnerungen an Sommertage in einem kleinen Städtchen, an eine dort auftretende berühmte Zigeunerkapelle verarbeitende „Tänze aus Galanta“ sind da doch ein noch lohnenderer Stoff mir ihren Wechseln zwischen temperamentvollen Verbunkos, Liedern und Tänzen, mit denen Soldaten angeworben wurden, und langsameren, elegischen freien Passagen. Virtuosen Klarinetten- und Flötensoli stellt Walker die Streicherregister desto geschlossener, klangvoller entgegen. Für dieses Dessert der Walker’schen Diät bedankt sich das Publikum mit minutenlangem Beifall.

Ein bisschen schwerer im Magen liegt offenbar einer der Hauptgänge, Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester Sz 113. Das tut es vielleicht deshalb, weil dieses Werk 1939 zwar in sehr angenehmer Atmosphäre komponiert wurde – nämlich im Schweizer Chalet von Bartóks Baseler Mäzen Paul Sacher. Die Schatten des Krieges waren aber schon dort zu spüren. Sie verdunkeln musikalisch immer wieder das Divertimento, trüben, in Form unerbittlicher Synkopen, gleich das so lebenslustig mit einem schwungvollen Kolo startende Allegro. Sie verdunkeln bis hin zum Trauermarsch den langsamen Satz und verleihen dem neobarocken, mit Concerto-grosso-Effekten spielenden Finale einen bitter-grotesken Beigeschmack.

Das ist für Walker genau das Richtige, für einen Dirigenten, der gern den vollen Orchesterklang auskostet, dann aber intensiv am Leisen, an kleinsten Nuancen ziseliert. Das tut auch Joseph Haydns Sinfonie Nr. 70 D-Dur wohl, von Ungarischem gänzlich unbeleckt, aber immerhin zur Wiedereröffnung des Theaters in Esterháza erstmals aufgeführt. Eine Sinfonie, die zwar, vor allem in den Ecksätzen, entsprechend Pomp entfaltet, mit strahlenden Fanfarenmotiven zu Beginn, mit einer kunstvollen Tripelfuge im Finale, die jedoch in den Mittelsätzen unerwartet innehält mit klagenden Moll-Wendungen im Andante, einem bittersüßen, pianissimo-zarten Trio im Menuett.

Rhein-Zeitung │ 5. Oktober 2017 │ Lieselotte Sauer-Kaulbach