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Das letzte Konzert beim Koblenzer Musik-Institut im alten Jahr hatte nur zwei Programmpunkte. Beides indes dicke Brocken, die mit 50 und 55 Minuten Spieldauer den Abend in der Rhein-Mosel-Halle prall füllten: das Klavierkonzert Nr. 1 von Johannes Brahms und die Sinfonie Nr. 1 von Edward Elgar. Brahms genießt hier quasi Hausrecht, denn die intensive Pflege seines Œuvres hat beim Musik-Institut eine große Tradition. Auch gastierte der Komponist selbst zu Lebzeiten wiederholt als Dirigent und Pianist in Koblenz.

Knapp eine Generation nach seinem deutschen Kollegen geboren, galt der Brite im United Kingdom seit der Uraufführung seiner ersten Sinfonie 1908 in Manchester als heimischer Superstar der Klassik. 82 umjubelte Aufführungen erlebte die Komposition auf den Inseln allein im ersten Jahr. Während die Briten sich freuten, dass mal wieder einer der ihren ein Werk von internationalem Format geschaffen hatte, blieben die Reaktionen im übrigen Europa verhalten. Bis heute gehört Elgars Sinfonie Nr. 1 auf dem Kontinent nicht eben zu den Programmhits – obwohl es sich zweifelsohne um ein bedeutendes Werk handelt und die hohe Orchestrierungskunst seines Schöpfers belegt.

Für Garry Walker, den schottischen Chefdirigenten der Rheinischen Philharmonie, ist es eine Herzenssache, dem hiesigen Publikum die Sinfonie seines britischen Landsmannes nahezubringen. Überraschend der humorige Einstieg mit einem fast latschenden müden Schrittrhythmus. Das ist gewollt: Des Dirigenten linke Hand wirft dem Orchester entsprechend kraftlose Impulse zu. Faszinierend, wie Zug um Zug eine energetische Verdichtung aufgebaut wird. Daraus erwächst leuchtend jenes majestätische Thema, das über vier Sätze in verschiedenen Instrumentierungen mehrfach wiederkehrt und das Werk so zusammenhält.

Es gibt wunderbare Elemente in dieser Sinfonie, die in toto vom Orchester fabelhaft realisiert wird: der knackige Marsch im zweiten Satz etwa; diffizile Hochgeschwindigkeits-Passagen, mit äußerster Präzision gemeistert; die eindringliche Schlussapotheose um das Kernthema. Indes – und da mögen die Meinungen nun auseinander gehen: Es ist die Komposition selbst, die zwischen solchen Höhepunkten bisweilen recht langatmig, weitschweifig oder ähnlich einem Gemälde William Turners vage und diffus wirkt.

Verglichen damit, kommt heutigem Publikum das Klavierkonzert von Brahms wie eine kompakte, klare, herrliche Sache vor. Das war freilich im Veröffentlichungsjahr 1859 noch anders. Bei der Uraufführung in Hannover ein mäßiger Anstandserfolg, bei der Zweitaufführung in Leipzig von zu keinerlei Applaus bereitem Auditorium abgestraft, setzte sich das Werk erst mit der späteren Berühmtheit des Komponisten durch. In Koblenz übernimmt an diesem Abend der britische Pianist Steven Osborne den Solopart. Er und die Rheinische liefern eine rundum feine Arbeit ab, aus der zwei Aspekte hervorgehoben seien.

In die gewaltige Orchestereinführung mit ihren beinahe zornigen Trillerreihen flicht Osborne schier unmerklich das lyrische Seitenthema ein. Es ist, als wachse der Piano-Ton aus dem Orchester heraus und verschmelze alsbald wieder mit ihm. Übergänge, Stimm- und Führungsübergaben innerhalb der Rheinischen sowie zwischen ihr und dem Solisten bleiben das komplette Brahms-Konzert hindurch eine bestimmende grundsätzliche Qualität der Aufführung.

Ähnliches lässt sich über die Umsetzung des Adagio-Satzes sagen: Walker nimmt das Orchester ganz weit zurück, bis das Pianissimo fast nur noch ein Flirren ist. Dahinein setzt Osborne, teils nicht minder zurückgenommen, versonnen die Klavierstimme. Heraus kommt ein gefühlvolles Konstrukt in entzückender Schwebe zwischen Romantik und Impressionismus. Vielleicht war das der, auch jahreszeitlich passende, schönste Moment des Abends.

Rhein-Zeitung │ 11. Dezember 2017 │ Andreas Pecht